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Komplexität – der Marke größter Feind

Bäckerei "Pain Poilâne" in Paris, Frankreich

Zusammenfassung:

  • Marken entstehen durch Kommunikation.
  • Aufgrund einer Informationsüberlastung der Rezipienten durch eine zunehmende Komplexität in der Kommunikation wird es immer schwieriger Marken aufzubauen und zu führen.
  • Erfolgreiche Marken setzen deshalb die Technik der Komplexitätsreduktion und das Gesetz der Einfachheit ein.
  • Der Fachbeitrag zeigt anhand vieler Beispiele auf, wie Einfachheit in der strategischen und operativen Markenführung umgesetzt werden kann.

Warum einfach einfach besser ist

Wenn es um die Wahrnehmung von Informationen geht, ist man zum einen beim Thema Kommunikation und zum anderen beim Thema Marke.

Kommen wir zur Kommunikation: Wir leben in einer Welt der Über-kommunikation. Das heißt, Menschen sind heute einem bedrohlichen „Informations-Tsunami“ ausgesetzt. Mit anderen Worten: die Informationsflut ist so komplex, dass es für Menschen unmöglich ist alle Informationen wahrzunehmen und sinnvoll zu verarbeiten. So besteht zum Beispiel in Deutschland eine Informationsüberlastung von 98% – nur 2% der angebotenen Informationen werden überhaupt wahrgenommen. Dazu kommt, dass die Aufmerksamkeitsspanne von Menschen immer mehr sinkt. So ist zum Beispiel diejenige von Kanadiern in den letzten 15 Jahren von zwölf auf acht Sekunden gesunken. Ein Goldfisch dagegen hat immerhin eine Aufmerksamkeitsspanne von neun Sekunden!

Kommen wir zur Marke: Marken entstehen durch Kommunikation, der Übertragung und des Austausches von Informationen. Durch den vorherrschenden weltweiten Hyperwettbewerb besteht jedoch auch hier die Situation einer Überkommunikation, wodurch die Erhöhung der Bekanntheit und Differenzierung von Marken immer schwieriger wird.

Um die Flut von Informationen verarbeiten zu können setzen Menschen die Technik der Komplexitätsreduktion ein: die Selektion von Informationen. Denn sonst würde aufgrund einer Reizüberflutung das Risiko auftreten, dass Informationen nicht mehr sinnvoll verarbeitet werden können. Technisch gesehen ist Komplexitätsreduktion eine Datenvorverarbeitung, zum anderen dient sie der Vereinfachung von Kommunikation. Auch zur Führung von sozialen Systemen im Wirtschaftsverkehr, wie es Markensysteme darstellen, wird die Technik der Komplexitätsreduktion und das Gesetz der Einfachheit eingesetzt.
Nach Wikipedia ist „Einfachheit, auch Schlichtheit, ein Zustand, der sich dadurch auszeichnet, dass nur wenige Faktoren zu seinem Entstehen oder Bestehen beitragen, und dadurch, dass das Zusammenspiel dieser Faktoren durch nur wenige Regeln beschrieben werden kann. Damit ist Einfachheit das Gegenteil von Komplexität. In der wissenschaftlichen Logik gilt das Prinzip, einen gegebenen Sachverhalt mit so wenigen Elementen wie möglich, somit unter möglichster Vermeidung unnötig komplexer Kausalketten zu erklären.“ Und weiter: „Einfachheit kann sowohl positiv als auch negativ bewertet werden. Einfachheit gilt als erstrebenswert, wenn mit wenigen Mitteln möglichst viel erreicht werden kann. Dann ist sie ein Synonym für Minimalismus, Klarheit oder Simplizität (Weniger ist mehr). Antike Naturphilosophen forderten, dass eine wahre Theorie nicht nur schön (im Sinne einer logischen, in sich stimmigen Struktur) und gut (d. h. funktional und konkret umsetzbar) sein sollte, sondern auch einfach. Diese Ansicht vertrat auch Albert Einstein.“
In der Führung von Markensystemen gibt es jedoch eine Besonderheit zu beachten: In der Kommunikation wird nur die Komplexität in der Darstellung des Systems reduziert. Die Komplexität des Markensystems selbst bleibt unverändert. Dabei sollte Komplexität jedoch nicht mit Kompliziertheit gleichgesetzt werden.

Wahrnehmung von Marken

Marken entwickeln als „Positives Vorurteil von der Leistungsüberlegenheit von Unternehmen oder Produkten“ ihre Kraft in den „Köpfen von Menschen“, die als Kunden im Wirtschaftsverkehr teilnehmen und als einzige für Wertschöpfung im Unternehmen sorgen. Die größte Aufgabe für Unternehmen ist es deshalb mit ihrer Leistung in die Köpfe der von ihnen anvisierten Stakeholder zu kommen. Das hat einerseits mit Kommunikation und andererseits mit Wahrnehmung zu tun. Wobei es auf das letztere entscheident ankommt, denn was der potentielle Kunde nicht wahrnimmt, kann er auch nicht kaufen.

Marken existieren als Bild (Image) von der kommunizierten Identität des Unternehmens und seiner Produkte im Kopf von Menschen. Images kann man jedoch nicht gestalten, sondern nur die Identität als Bezugsobjekt zur Imagebildung als Abbild der Identität. Es geht also nicht mehr vordergründig darum was man anbietet, sondern wie man es erlebbar macht, damit es wahrgenommen wird. Und vor allem welche nutzenorientierte, sinnhafte Mission die Marke antreibt.
Bemühen wir noch einmal Wikipedia damit wir auch die richtigen Informationen wahrnehmen und verarbeiten können: „Wahrnehmung (auch Perzeption) ist der Prozess und das Ergebnis der Informationsgewinnung und -verarbeitung von Reizen aus der Umwelt und dem Körperinnern eines Lebewesens. Dies geschieht durch unbewusstes und beim Menschen manchmal bewusstes Filtern und Zusammenführen von Teil-Informationen zu subjektiv sinnvollen Gesamteindrücken. Diese werden auch Perzepte genannt und laufend mit gespeicherten Vorstellungen (Konstrukten und Schemata) abgeglichen. Inhalte und Qualitäten einer Wahrnehmung können manchmal (aber nicht immer) durch gezielte Steuerung der Aufmerksamkeit und durch Wahrnehmungsstrategien verändert werden.“
Das Gesetz der Einfachheit ist letztendlich ein allgemeines Prinzip, das man als übergeordnetes Gesetz der Wahrnehmung verstehen kann. Die anderen Gestaltgesetze der Wahrnehmung, wie das Gesetz der Nähe, das Gesetz der Selbstähnlichkeit usw. sorgen dafür, dass Einfachheit als übergeordnetes Prinzip wirken kann.
Unser Bewusstsein kann sich jedoch immer nur auf eine von mehreren möglichen Wahrnehmungsalternativen einstellen. Deshalb können wir Sinneseindrücke nicht gleichzeitig in verschiedenen Bedeutungen sehen.Im Bewusstsein ist also nur Raum für eine einzelne Bedeutung, weswegen die Wahrnehmung so unflexibel erscheint. Dieses Limit ist so grundlegend, dass es selbst bei vergleichsweise einfachen Dingen wirkt. Hier sind wir also wieder bei der Botschaft „Weniger ist mehr“ angekommen. Und weniger heißt, einfach ausgedrückt, Fokus auf das Wesentliche setzen.
Die Gestaltgesetze bewirken, dass aus der Vielzahl an Interpretationen eines Reizes diejenigen ausgewählt werden, die der Verstand am leichtesten handhaben kann. Das Sehen nach den Gestaltge-setzen reduziert die kognitive (= das Denken und Entscheiden betreffende) Belastung und sorgt dadurch dafür, dass wir schnell reagieren können.

Komplexität ist einfach zu teuer

Nehmen wir ein Beispiel aus unserem Konsumalltag. Nach der immer noch weit verbreiteten Ansicht „Viel hilft viel“, müssten doch viele Produkte auch mehr Umsatz erzielen. Aus der Sicht von Unterneh-men könnte das gar nicht so falsch gedacht sein, verkaufen diese doch an erster Stelle ihre Produkte. Ist diese Sichtweise aber auch für die Führung von Marken erfolgreich anwendbar? In der Führung von Marken geht es nicht an erster Stelle um das Verkaufen von Produkten, sondern um die Wahrnehmung der Produkte durch den Kunden. Kaufen also Konsumenten wirklich mehr Produkte, wenn mehr davon angeboten werden? Einfach gesagt: Nein! So beschreiben zum Beispiel Michael Wänke und Rainer Greifeneder (In Psychologie der Markenführung, Seite 157, 2007) heraus, dass, wenn 6 Sorten zum Kauf angeboten wurden, 30% der Konsumenten kauften, wurden 24 Sorten angeboten, kauften nur noch 3% der Konsumenten, obwohl sie von der Vielfalt des Angebotes begeistert waren. Woran liegt das? Dafür gibt es einen interessanten Begriff: Analyse-Lähmung. Eine Analyse-Lähmung kann eintreten, wenn der Nutzer derart viele Varianten zur Auswahl stehen hat, dass er gar keine Entscheidung treffen kann und sich für diesen Prozess Zeit nehmen müsste. Dies birgt die Gefahr eines gänzlichen Abbruches, da die Zeit entweder nicht vorhanden ist, oder der User schlicht mit der Unübersichtlichkeit der Auswahl überfordert ist. Konsumenten sollten deshalb nicht zu viele Möglichkeiten zur Auswahl gestellt werden – Komplexität also vermieden werden.

Wenn 6 Sorten zum Kauf angeboten wurden, kauften 30% de Konsumenten, wurden 24 Sorten angeboten, kauften nur noch 3% der Konsumenten. Foto: Reuters

Sogar ALDI, Deutschlands erfolgreichster Lebensmitteldiscounter (Discounter – Scheinanglizismus von englisch ‚Discount’ – Preisnachlass), setzt deshalb nicht auf das Prinzip der Komplexität, sondern auf das Prinzip der Einfachheit: „Wir tun alles dafür, Ihren Alltag so einfach wie möglich zu machen, damit Sie stets mehr Geld für Schönes und mehr Zeit fürs Wesentliche haben.“ Und so funktioniert „Das Einfach-Prinzip“: Weniger ist mehr. Einfaches Produktspektrum, einfache Ausstattung der Filialen, einfache Logistik. Im Ergebnis wird alles schneller und die hochwertigen Produkte sind frisch, da sie nicht lange im Laden liegen. Und die Kunden haben sogar noch einen Preisvorteil durch einen extrem hohen Lagerumschlag (52-maligen Lagerumschlag des gesamten Sortiments pro Jahr).

Alles einfach, alles schnell, alles frisch – Das ALDI „Einfach-Prinzip“. Foto: ALDI

Im Gegensatz zu ALDI setzt VW auf Vielfalt und kämpft deshalb mit einer überbordenden Komplexität und nicht nur mit dem „Diesel-Skandal“. Und zwar vor allem im Herstellungsprozess. Gerade bei den Margenbringern Touran und Tiguan gab es deshalb Ablaufprobleme. Das Problem ist nicht neu, auch beim neuen Passat lief der Start im Herbst 2014 nicht rund. Mehrere Hundert Karosserien mussten ver-schrottet werden, weil ein Roboter Schweißpunkte falsch gesetzt hatte. Die Ursache liegt in der großen Modellpalette und einer großen Anzahl an Modellvarianten, die für Komplexität in der Fertigung sorgen. Aus der Vielzahl der Varianten im Karosseriebau resultiert, dass die Roboter, je nach Modellfolge am Band, die Arbeitsgänge rasch wechseln müssen –  was oft zu Fehlern und Unterbrechungen führt. Analysten gingen schon im August 2014 davon aus, dass der Betriebsgewinn der Hauptmarke VW, im Gegensatz zu den Gewinnbringern Audi und Porsche, um ein Drittel eingebrochen ist.

VW leidet an der Komplexität in der Fertigung aufgrund einer großen Modellpalette und vieler Fahrzeugvarianten. Foto: VW

Konzentration auf das Wesentliche

Letztendlich geht es bei Einfachheit immer um die „Konzentration auf das Wesentliche“. Und das heißt ganz einfach „Weglassen des Unwesentlichen“ – was jedoch oftmals nicht leicht ist. Mit anderen Worten: (Reduktion von Komplexität:) Den Kunden nicht belasten, sondern ihm einen echten Nutzen stiften. Und dieses Prinzip gilt nicht nur für Discounter, sondern ist das zentrale Erfolgskonzept für Marken. Denn Marke heißt im Kern „Reduktion von Komplexität“ – vor allem in der Kommunikation! Und da alles kommuniziert, denn nach Watzlawik kann man nicht nicht kommunizieren, geht es um die Reduktion der Komplexität in der gesamten Wertschöpfungskette.
Auch „EVE Matratzen“ aus Großbritannien hat sich von der Komplexität auf der Produktebene erfolgreich verabschiedet und bietet nur noch eine Matratze, aber die „Komfortabelste Matratze“ der Welt an. Lassen wir die EVE-Macher selbst zu Wort kommen: „Unser Ziel: Die eine Matratze designen. Die Einzige, die Du je brauchen wirst. Also haben wir den ganzen Schnickschnack und das verwirrende Fachgerede gestrichen. Das Ergebnis ist ein Produkt, das einfach schön und schön einfach ist.“

Eve – Die komfortabelste Matratze der Welt aus Großbritannien. Ein Produkt, aber das Richtige. Foto: eve

Und weil das bei den Kunden gut ankommt, gibt es auch schon Nachahmer, wie zum Beispiel die Marken EMMA, www.emma-matratze.de, oder BRUNO, www.brunobett.de, aus Deutschland. www.emma-matratze.de, oder BRUNO, www.brunobett.de, aus Deutschland.

Wie wir gesehen haben, steht Einfachheit immer im Kontext mit dem angestrebten Kundennutzen. Ein einfaches Produkt, das sinnlos ist, also keinen Kundennutzen stiftet, wird deshalb nie Erfolg haben. Marken haben demnach nicht nur die Aufgabe Komplexität zu reduzieren, sondern etwas Sinnvolles zu leisten, also den Nutzen für den Kunden zu steigern. Und das fängt nicht bei der Werbung, sondern beim Produkt an. Schauen wir uns hierfür Poilâne aus Paris an. So schreibt Marika Bent im Manager Magazin: „Seien wir ehrlich“, sagt Geneviève Briere, „es ist nur Brot.“ Ja, aber was für eines! Briere, Sprecherin des Unternehmens Poilâne SA, betont das „nur“ in ihrem Satz auf eine Art, dass die Anführungszeichen deutlich herauszuhören sind. Die feine Unscheinbarkeit des Ladens und das Understatement in Brieres Stimme muss man sich erstmal leisten können. Für das berühmte „Pain Poilâne“ müssen nicht laut die Trommeln gerührt werden, es verkauft sich auch so wie warme Semmeln – weltweit an 1.500 Orten, darunter in Feinkostläden und Restaurants in Boston oder Tokio.“

Poilâne: Ein traditionelles rundes Sauerteigbrot, weltweit und ohne Werbung verkauft, ein einfaches Rezept aus Mehl, Salz, Wasser, konsequent umgesetzt und Fans in der ganzen Welt, trotz EUR 8,70. Foto: Poilâne

Gerade im Lebensmittelmarkt gibt es viele Beispiele, dass Einfachheit einfach besser ist: Denken wir nur an die CocaCola Company, die nur mit einem Produkt die Welt eroberte. Oder an Neuburger – „Sagen Sie niemals Leberkäse zu ihm“ – aus dem österreichischen Mühlviertel, der auch nur ein Produkt sehr erfolgreich anbietet. Der Vorteil: Ein Preispremium lässt sich viel besser durchsetzen und das Qualitätsrisiko wird niedrig gehalten.

Es muss aber nicht immer nur ein Produkt sein. Wichtig ist, dass sich das Gehirn einen Begriff merkt. Zum Beispiel „Käsekuchen“ und diesen mit einem überlegenen Qualitäts-merkmal belegt: „Der beste Käsekuchen der Welt“. Dann kann man auch mehrere Varianten, sprich mehrere Produkte, unter diesem Begriff anbieten, denn das ist ziemlich einfach zu merken. Und darauf kommt es ja einfach an!

„Stefans Käsekuchen“ aus Ebringen bei Freiburg begeistert die Kunden so sehr, dass sie sogar ohne zu murren Schlange stehen.Der Glaube an die beste Qualität macht es möglich, denn die Kunden sind überzeugt, dass es „Der beste Käsekuchen der Welt!“ ist.

Oder man positioniert seine Produkte, zum Beispiel in der Kategorie „Bier“, auf spezifische Geschmacksprofile, wie es die Brauerei BECK`S, als international ausgerichtetes Unternehmen, erfolgreich vormacht.

Foto: Beck’s

Zwischen 1909 und 1914 war Australien der mit Abstand größte Markt für Beck’s Bier. An diese Tatsache erinnert „Amber Lager“, ein untergäriges Bier mit einem ausgewogenen malzbetonten Geschmack.„Pale Ale“ ist ein obergäriges Bier englischen Stils mit 6,3 Prozent Alkoholgehalt und „1873 Pils“ erinnert an die Wiege und Gründertage der Beck’s Brauerei (damals Kaiser-Brauerei Beck & Co) in Bremen.

Dass das Prinzip Einfachheit auch im Business-to-Business-Geschäft bestens funktioniert, beweist JUNGHEINRICH eindrücklich: Wenn es um „Stapeln und Heben“ geht, ist die Marke Jungheinrich die Nr.1 im Kopf der Kunden: Durch die Konzentration auf eine Kategorie ist es dem Unternehmen gelungen, die Wahrnehmung der Kunden positiv zu beeinflussen. Auch hier funktioniert das Prinzip der Einfachheit bestens, gelingt es doch dem Unternehmen durch Fokussierung das Unwesentliche einfach wegzulassen und sich als die „besten Stapler“ zu positionieren.

Durch Fokussierung auf eine Kategorie – Stapeln – gelingt es der Marke Jungheinrich das Prinzip der Einfachheit erfolgreich zu nutzen. Foto: Jungheinrich

Diesen Weg gehen auch andere Unternehmen erfolgreich. Denken wir an ROTZLER, fallen uns „Hydraulische Seilwinden“ ein. STIHL steht im Kern für Motorsägen, GARDENA sind „Gartensysteme“, FISCHER ist „Der Dübel“, RIMOWA ist „Der Aluminiumkoffer“ oder SIXT ist „Die Autovermietung“.

Stellen Sie sich doch einfach einmal die Frage, welchen Begriff Ihre Marke besetzt.

Wie Komplexität entsteht

Eine der wesentlichen Ursachen für Komplexität liegt in der Tatsache, dass Unternehmen in der Markenführung den Fokus nicht auf die Erhöhung des Kundennutzens, sondern auf die Erhöhung der Markt-anteile und des Umsatzes durch die Erhöhung der Anzahl der Produkte legen. Dabei vergessen sie die alte Weisheit in der Markenführung: Man verdient nicht mit vielen Produkten, sondern mit vielen Kunden Geld.
Vor allem in wirtschaftlich schwierigen Phasen sehen Unternehmen die einzige Chance, den Umsatz durch die Erhöhung von Komplexität zu steigern:

  • Erhöhung der Produktkomplexität durch Erweiterung des Sortimentes.
  • Erhöhung der Kundenkomplexität durch Preisnachlässe.
  • Erhöhung der Prozesskomplexität durch schnellere Produktzyklen und Vernachlässigung bewährter Standards und Kalkulationen.
Baumarkt TOOM: Erhöhung der Kundenkomplexität durch Preisnachlässe. Foto: Toom

Folgende Faktoren spielen dabei eine besondere Rolle:

Produktüberangebot

Viele Produkte erzeugen einen höheren ökonomischen Aufwand, denn jedes einzelne Produkt muss separat geplant, kalkuliert und vermarktet werden. Schafft ein neues Produkt zudem keine Kunden, muss es subventioniert werden, was wiederum Geld kostet.

Preisspreizung

Werden Produkte mit einer großen Anzahl von Preispunkten angeboten, die nicht der Positionierung der Marke entsprechen, kann ein wertschöpfendes Preispremium nicht durchgesetzt werden.

Internationalisierung

Die unterschiedlichen länderspezifischen Anforderungen erzeugen einen hohen Informationsaufwand und machen differente und damit komplexe Maßnahmen in Marketing, Vertrieb und Service notwendig.

Kundenfragmentierung

Die Fragmentierung in unterschiedliche Kundengruppen erzeugt einen höheren Handlingsaufwand entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

Multichannel-Distribution

Um viele neue Kunden zu erreichen, müssen neue Verkaufskanäle erschlossen und gepflegt werden.
Im Endeffekt entsteht aufgrund dieser die (von) Komplexität erhöhenden Vielfalt und Dynamik das Risiko, dass Prozesse nicht mehr zuverlässig geplant werden können. Ausserdem sorgen gesetzliche Auflagen, der erweiterte Wettbewerb und die eigenen, auf „Wachstum um jeden Preis“ ausgerichteten strategischen Ziele für eine Zunahme an Komplexität im System und damit für Instabilität.

Komplexität ist oft hausgemacht

Nicht nur egoistisches Abteilungsdenken, langwierige Planungs- und Entscheidungsprozesse, umständliche Genauigkeit oder ein künstlich aufgeblähtes Berichtswesen tragen zu komplexen Prozessen in Unternehmen bei, sondern oftmals liegt die Ursache in einer fehlgeleiteten Unternehmenskultur, die nicht auf einem nutzenorientierten Wertefundament aufsetzt. Damit fehlen den Mitarbeitern klare Leitlinien zur Sicherstellung der Prozessqualität. Und das Unternehmen hat keine Orientierung, wo Ressourcen und Kompetenzen aufgebaut werden müssen, um den Anforderungen der Kunden gerecht zu werden.
Ausserdem beschreiben und regeln viele Unternehmen ihre Prozesse nicht eindeutig, sie standardisieren nicht, die Kommunikation ist mangelhaft und die IT-Systeme sind nicht systematisch miteinander vernetzt.

Wie man Komplexität vermeidet

Marken arbeiten generell nach der Prämisse der „Reduktion von Komplexität“, denn sie konzentrieren sich auf ein unverwechselbares und damit selbstähnliches Kommunikations-Design als „Filter“, der das Wesentliche verstärkt und das Unwesentliche wegfiltert. Dieses typische Gestaltmuster wird in der Markenführung fortlaufend reproduziert und erzeugt so eine größere und nachhaltige Wahrnehmung. Starke Marken setzen als weiteren Filter das Prinzip der Divergenz ein. Sie fokussieren sich als Spezialist auf eine besondere Leistung oder Leistungsgruppe und positionieren den damit verbundenen Kundennutzen in einem einfachen und schnell verständlichen Versprechen dauerhaft „Im Kopf“ der anvisierten Kunden.

Deshalb ist es für Marken, die Erfolg haben wollen, essentiell zum einen ihren Leistungs- und Nutzenkern zu kennen und zum anderen ein selbstähnliches Kommunikationsmuster als Informationsfilter zu entwickeln und fortlaufend zu reproduzieren. Da starke Marken sich zudem nicht immer wieder neu erfinden und so Komplexität im System aufbauen, sondern alles tun, um den Nutzen für ihre Kunden zu erhöhen, indem sie immer besser werden, geraten sie nicht so schnell in die „Komplexitätsfalle“.
Die Markenverantwortlichen in den Unternehmen haben deshalb die Aufgabe den Sinnkern ihrer Marke zu kennen, diesen immer wieder mit neuer Energie in Form der Steigerung des Kundennutzens mit besseren Produkten aufzuladen und ihre Marke in eine wertschöpfende Balance zwischen Bestätigung des Bewährten und Entwicklung von Neuem, welches das Bestehende vertrauensvoll verstärkt, zu halten. Also die Komplexität mit dem Einsatz des Prinzips der Selbstähnlichkeit zu vermeiden. Das erfordert Mut und Standhaftigkeit und ein ausgeprägtes Wissen über die Identität und den Nutzensinn ihrer Marke.

Der nutzenorientierte Sinnkern der Marke MSC Technologies: „Mit intelligenten Lösungen einen Vorsprung im Markt erzeugen“. Hierfür hat das Unternehmen Kernwerte entwickelt, welche die Grundlage für die Leistungskultur im Unternehmen bilden. Foto: MSC Technologies

Das scheinen aber immer mehr Marken nicht mehr zu leisten: Nach einer Untersuchung der Gesellschaft für Konsumforschung, Nürnberg, sank die Zahl der Menschen, die Marken die Treue halten in den letzten 23 Jahren um 12 Prozent auf 59 Prozent. Und eine aktuelle Studie des Markenverbandes, der GfK und Serviceplan sorgt für große Aufregung in der Wirtschaft: 41 Prozent der Marken verlieren ihre Stammkunden, die durch illoyale Gelegenheitskäufer ersetzt werden, was die Marketingkosten exponentiell ansteigen lässt.

Was lernen wir daraus: Viel hilft nicht viel, besonders wenn das Viele einfach sinnlos für den Kunden ist.

 

Über den Autor:
Wolfgang Schiller ist Inhaber der auf systemische Markenführung positionierten Strategieberatung SCHILLER BRAND COMPANY. Im Brand Risk Management hat er Pionierarbeit geleistet und ist heute der führende Experte. Seit über 30 Jahren berät er vor allem mittelständische Unternehmen und Konzerne Unternehmen im Aufbau, der Führung und des Schutzes von werttreibenden Markensystemen.

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